Lernort Kreismuseum
Lernort Kreismuseum – Die Sonderausstellung „1923“ als Beitrag zum Demokratietag der Schulen
Seit dem Schuljahr 2021/22 ist die Durchführung eines Demokratietages für die Klassen 8-10 fester Bestandteil des Lehrplans an den rheinland-pfälzischen Schulen. Wie der Tag gestaltet wird, ist den Schulen weitgehend freigestellt, doch sollen insbesondere Fragen des Zusammenlebens in der gegenwärtigen Gesellschaft und der Bezug zur aktuellen Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt werden.
Das Kreismuseum hat für diesen Zweck ein neues museumspädagogisches Angebot entwickelt. Mit der derzeit noch zu sehenden Sonderausstellung „Krise und Aufbruch – das Jahr 1923 im Raum Bitburg-Prüm“ wurde dort ein Kapitel unserer Geschichte erschlossen, das wie in einem Brennglas die Ereignisse aus den demokratischen Anfangsjahren nach dem Ersten Weltkrieg zusammenfasst: Politische Radikalisierung und Umsturzversuche, Versorgungsengpässe, eine Energiekrise und die galoppierende Inflation des Jahres 1923 erschwerten tagtäglich den Neubeginn. Besonders hart betroffen war damals das bis 1930 militärisch besetzte Rheinland und mit ihm die Kreise Bitburg und Prüm. Im Herbst 1923 wagten dort „Separatisten“ mit Unterstützung durch das französische und belgische Militär die gewaltsame Abspaltung des Rheinlandes vom übrigen Deutschland. Besonnenere Politiker behielten damals die Oberhand, und am Ende sollte es der jungen deutschen Demokratie sogar gelingen, die Krise zu überwinden. Das Jahr 1923 wurde damit zu einem Schlüsseljahr der jüngeren deutschen Geschichte.
Für die Ausstellung hatte ein kleines Team um Museumsleiter Burkhard Kaufmann und den Historiker Georg von Schichau (Kreisarchiv) die damaligen Ereignisse aus Bitburg, Prüm und zahlreichen Orten des heutigen Eifelkreises rekonstruiert. Rund 50 Schulchroniken aus dem Kreisgebiet wurden dafür ausgewertet, dazu Briefe, persönliche Aufzeichnungen, Aktenbestände, Fotos und Erinnerungsstücke. Der Blick auf die lokalen Verhältnisse, auf bekannte Schauplätze und Personen bietet den Ausstellungsbesuchern immer wieder unerwartete Aha-Erlebnisse. Vor allem aber ermöglichen die Geschichtsquellen aus dem nächsten Umfeld den Schülerinnen und Schüler einen unmittelbaren Zugang zu den Ereignissen, wie er alleine mit den üblicherweise in den Schulbüchern herangezogenen Schauplätzen wie Berlin, München und anderswo oft nicht zu erreichen ist.
Als erste Schule hat das Staatliche Eifel-Gymnasium Neuerburg dieses Programm am 9. April 2024 in Anspruch genommen – mit drei Klassen der Jahrgangsstufe 10 und des Kolleg Vorkurses, insgesamt 68 Schülerinnen und Schüler. Auf Initiative von Oberstudienrätin Alexandra Zender hatten sich dazu die Fachschaften Geschichte und Sozialkunde zusammengeschlossen. Zur Vorbereitung war im Unterricht unter dem Motto “1923-2023/24 - Zerreißproben der Demokratie” ein erster Vergleich zwischen den politischen Verhältnissen damals und heute gezogen worden.
Der Museumsbesuch war auf 3,5 Stunden angelegt. Zu Beginn erhielten die Schüler einen kurzen Überblick über die Themen der Ausstellung und den Ablauf des Vormittages. Darauf folgten drei Programmpunkte von jeweils etwa 40 Minuten, die von den drei dazu gebildeten Gruppen im Wechsel durchlaufen wurden:
- Führung durch die Ausstellung
- Recherche anhand von Berichten aus den Schulchroniken zu den Ereignissen des Jahres 1923
- Recherche anhand von kopierten Aktenbeständen zu den Familien, die durch die Besatzungsbehörde aus den Kreisen Bitburg und Prüm ausgewiesen wurden.
Die Schulchroniken können in der Ausstellung sowohl digital an einem Touchscreen-Bildschirm als auch analog in Heftform gelesen werden. In beiden Fällen werden die handschriftlichen Fassungen und ihre Übertragungen in Druckschrift einander gegenüber gestellt. Dies ermöglicht dem Leser einen unmittelbaren Zugriff auf die Textquelle und unterstreicht zugleich den Wert des Originals. Die Auswertung erfolgte anschließend am Flipchart, wo die in den Chroniken berichteten Themen und Ereignisse zusammengetragen wurden.
Der zweite Rechercheauftrag bestand darin, aus reproduzierten Akten mit maschinenschriftlich erstellten Listen die Namen und Herkunftsorte von Personen zu ermitteln, die im Rahmen des passiven Widerstands von der Besatzungsbehörde ausgewiesen wurden. Sie wurden durch die Berliner Regierung im unbesetzten Teil des Deutschen Reiches untergebracht. Mit den Ausgewiesenen mussten meist auch die Familien ausreisen, mit der Folge, dass, wie in der Ausstellung gezeigt, auch zahlreiche Jugendliche unter den vielen hundert Betroffenen aus dem heutigen Kreisgebiet waren. Erst im Lauf des Jahres 1924 sollten sie in ihre Heimat zurückkehren können. Das schiere Ausmaß der Ausweisungen erschloss sich dabei durch die zahlreichen Namenskarten, die von den Arbeitsgruppen an einer Pinnwand zusammengetragen wurden.
In der Schule entstand schließlich zur Nachbereitung eine historische Überblickszeitung, in der die Ergebnisse des Museumsbesuchs zusammengefasst und Parallelen bzw. Unterschiede zwischen der Situation 1923 und der Gegenwart aufgezeigt wurden.
Ein Leistungskurs Geschichte des St. Willibrord-Gymnasiums Bitburg befasste sich in der Ausstellung mit den Ereignissen des Jahres 1923 aus der Sicht der Menschen im Raum Bitburg-Prüm. Foto: B. Kaufmann
Bleibende Ergebnisse
Die Ausstellung wird in der jetzigen Form voraussichtlich noch bis zum Frühjahr 2025 zu sehen sein. Danach werden Kernbestandteile wie die zwölf Ausstellungsbanner und weitere Materialien weiterhin greifbar bleiben und bei Bedarf als Rahmen für das beschriebene museumspädagogische Angebot eingesetzt werden können. Auch ein Verleih an Schulen ist möglich, insbesondere dann, wenn z.B. im Rahmen einer Projektwoche das Thema weiter behandelt werden und die Ausstellung mit selbst erstellten Inhalten ergänzt werden soll.
Als weiteres, bleibendes Ergebnis der Ausstellung sei an dieser Stelle die Erschließung zahlreicher Schulchroniken erwähnt. Viele dieser für unseren Raum einzigartigen historischen Quellen schlummern noch in Schränken und Schubladen, ohne dass auch nur eine einzige Kopie davon an geeigneter Stelle gesichert ist. Wohl haben manche davon in den vergangenen Jahren den Weg in öffentliche Archive gefunden. Auch im Zuge der Ausstellungsvorbereitungen konnten eine Anzahl von Chroniken als Depositum bzw. leihweise durch das Kreisarchiv in Empfang genommen und Reproduktionen angefertigt werden. Gesichert oder gar erschlossen sind diese wertvollen historischen Quellen aber bislang nur zu einem kleinen Teil. Wie groß das Interesse an ihnen andererseits ist, zeigte sich an drei Lektürekursen mit Georg von Schichau, die durch das Kreismuseum und das Kreisarchiv bzw. das Stadtarchiv im Zusammenhang mit der Ausstellung veranstaltet wurden.
Das Projekt hat außerdem das Wissen um die bislang von der lokalen Forschung wenig berücksichtigten 1920er Jahre in unserem Raum enorm erweitert. Dies äußert sich nicht zuletzt in einer Reihe von Führungen zu Spezialthemen, die Teil des Begleitprogramms waren und in einer weiteren Runde Anfang 2025 wieder angeboten werden:
- „Das Loch im Westen“ – Wie die Eifel 1923 zum Schmugglerparadies wurde.
- Politik mit Pistolen - der Herbst 1923 im Raum Bitburg-Prüm.
- Verhaftet und ausgewiesen – Politische Verfolgung im Jahr 1923 im Raum Bitburg-Prüm.
- Die Eifel-Eisenbahn im Krisenjahr 1923.
Die Ausstellung reiht sich damit ein in eine stattliche Zahl Veranstaltungen, die das Jahr 1923 als ein Schlüsseljahr unserer Geschichte gewürdigt haben. Mehrere Bücher von namhaften Historikern sind aus diesem Anlass erschienen. Das Kreismuseum hatte sich dabei zum Ziel genommen, das Thema auf die lokale Ebene herunterzubrechen und damit einen konkreten und anschaulichen Zugang zu diesem Kapitel Demokratiegeschichte zu ermöglichen. In den kommenden Wintermonaten besteht für die Besucher des Kreismuseums noch einmal Gelegenheit, sich dieses außerordentliche Jahr vor Augen zu führen.